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sen und grünen Stiefeln. Mit einer fast absurd ritterlichen
Geste hielt er ihr seine Mütze hin, und sein Gesicht war Bills
Gesicht, wie es ausgesehen hatte, bevor es vom Krebs ge-
zeichnet wurde (war das alles, wovor sie Angst gehabt hat-
te? Daß ein ausgemergelter Schatten ihres Mannes sie erwar-
ten würde, eine Gestalt wie aus dem Konzentrationslager,
mit überstraffer, durchscheinender Haut über den Backen-
knochen und tief in die Höhlen eingefallenen Augen?), und
eine Woge der Erleichterung erfaßte sie.
»Bill? Bist du es wirklich?«
»Klar.«
»Bill!« sagte sie noch einmal glücklich und machte ei-
nen Schritt auf ihn zu. Ihre Beine ließen sie im Stich, und
sie dachte, daß sie stürzen würde, mitten durch ihn hin-
durch schließlich war er ja ein Geist -^, aber er fing sie
auf mit Armen, die so stark und kraftvoll waren wie
einst, als er sie über die Schwelle des Hauses getragen
hatte, in dem sie zuletzt nur noch mit Alden gelebt hatte.
Er stützte sie, und einen Augenblick später spürte sie,
wie die Mütze ihr fest auf den Kopf gedrückt wurde.
»Bist du's wirklich?« fragte sie wieder und blickte in
sein Gesicht empor, betrachtete die Krähenfüße um seine
Augen, die sich noch nicht tief in seine Haut eingegraben
hatten, betrachtete den Schnee auf den Schultern seiner
Jacke, betrachtete sein dichtes braunes Haar.
»Ich bin's«, sagte er. »Wir alle sind hier.«
Er vollführte zusammen mit ihr eine halbe Drehung,
und sie sah die anderen aus dem Schnee auftauchen, den
der Wind in der sich verdichtenden Dunkelheit über die
Meeresstraße fegte. Ein Schrei halb vor Freude, halb
vor Angst - kam aus ihrem Mund, als sie Madeline Stod-
dard, Hatties Mutter, in einem blauen Kleid erblickte,
das der Wind glockenförmig bauschte, und ihre Hand
hielt Hatties Vater, kein vermodertes Skelett irgendwo
auf dem Meeresgrund, sondern jung und unversehrt.
Und dort, hinter den beiden...
»Annabelle!« rief sie. «Annabelle Franc, bist du's?«
Es war Annabelle; sogar in diesem Schneegestöber er-
kannte Stella das gelbe Kleid, das Annabelle bei Stellas
Hochzeit getragen hatte, und als sie an Bills Arm auf ihre
tote Freundin zutaumelte, glaubte sie, Rosenduft wahr-
zunehmen.
»Annabelle!«
»Wir sind jetzt fast da. Liebes«, sagte Annabelle und
nahm ihren anderen Arm. Das gelbe Kleid, das seinerzeit
als >gewagt
für Annabelle und zur allgemeinen Erleichterung doch
kein >Skandal
aber Annabelle schien die Kälte nicht zu spüren. Ihr lan-
ges weiches kastanienbraunes Haar wehte im Wind.
»Nur noch ein kleines Stückchen.«
Sie bewegten sich wieder vorwärts; Bill und Annabelle
stützten Stella. Andere Gestalten tauchten aus schnee-
iger Nacht auf (denn es war inzwischen Nacht gewor-
den). Stella erkannte viele von ihnen, aber nicht alle.
Tommy Frane hatte sich zu Annabelle gesellt; Big George
Havelock, der in den Wäldern eines so gräßlichen Todes
gestorben war, ging hinter Bill; da kam der Mann, der
fast zwanzig Jahre lang Leuchtturmwärter von Raccoon
Head gewesen war und der zu den Scribbage-Turnieren,
die Freddy Dinsmore jeden Februar veranstaltete, immer
auf die Insel zu kommen pflegte - sein Name lag Stella
auf der Zunge, fiel ihr aber nicht ein. Und da war auch
Freddy selbst! Etwas seitlich von Freddy ging ganz für
sich, mit verwirrtem Gesichtsausdruck, Russell Bowie,
»Sieh mal, Stella«, sagte Bill, und sie sah etwas
Schwarzes aus der Dunkelheit emporragen wie die zer-
schellten Buge vieler Schiffe. Es waren aber keine Schiffe,
es waren zerklüftete Felsen. Sie hatten das Festland er-
reicht. Sie hatten die Meeresstraße überquert.
Sie hörte Stimmen, war aber nicht sicher, ob sie wirk-
lich sprachen:
Gib mir deine Hand, Stella...
(liebst)
Gib mir deine Hand, Bill...
(oh, liebst)
Annabelle... Freddy... Russell... John... Ettie..,
Frank... gebt mir die Hand... gebt mir die Hand ...die
Hand...
(liebst du)
»Willst du mir deine Hand geben, Stella?« fragte eine
neue Stimme.
Sie schaute sich um, und da war Bill Symes. Er lächel-
te ihr freundlich zu, und doch spürte sie, wie Angst sie
überkam, als sie es ihm an den Augen ablas, und einen
Moment lang wich sie etwas zurück und umklammerte
Bills Hand noch fester.
»Ist es...«
»Zeit?« fragte Bill. »O ja, Stella, ich glaub schon. Aber
es tut nicht weh. Zumindest habe ich nie etwas davon
gehört. All die Schmerzen die hat man vorher.«
Plötzlich brach sie in Tränen aus in all die Tränen,
die sie nie geweint hatte - und legte ihre Hand in Bulls
Hand. »Ja«, sagte sie, »ja, ich werde lieben, ja, ich liebte,
ja, ich liebe.«
Sie standen im Kreis, die Toten von Goat Island, und
der Wind heulte um sie herum und trieb den Schnee vor
sich her, und eine Art Lied entrang sich Stellas Brust. Es
stieg in den Wind empor, und der Wind trug es fort. Und
dann sangen sie alle, wie Kinder mit ihren hohen liebli-
chen Stimmen singen, wenn ein Sommerabend in eine
Sommernacht übergeht. Sie sangen, und Stella spürte,
wie sie zu ihnen und mit ihnen ging, endlich jenseits der
Meeresstraße angelangt. Ein bißchen tat es weh, aber
nicht allzusehr; ihre Entjungferung war schmerzhafter
gewesen. Sie standen im Kreis in der Nacht. Der Schnee
wirbelte um sie herum, und sie sangen. Sie sangen,
und...
... und Alden konnte es David und Lois nicht erzählen, aber im
Sommer nach Stellas Tod, als die Kinder wie jedes Jahr für zwei
Wochen auf die Insel kamen, erzählte er es Lona und Hai. Er er-
zählte ihnen, daß während der großen Winterstürme der Wind
mit fast menschlichen Stimmen zu singen scheint, und daß es
ihm manchmal so vorgekommen war, als könnte er sogar die
Worte verstehen: »Praise God from whom all blessings flow,
Praise Him, ye creatures here below,..« l »Preiset Gott, von
dem alle Gnaden kommen, Lobpreises IHN alle Geschöpfe hienie-
den ...«t
Aber er erzählte ihnen nicht (man stelle sich nur einmal den
langsamen, fantasielosen Alden Flanders vor, der so etwas laut
sagt, wenn auch nur zu Kindern!), daß er manchmal diese Töne
hörte und ihn dann fröstelte, auch wenn er dicht am Ofen saß;
daß er dann seine Schnitzarbeit oder das Netz, das er flicken
wollte, beiseite legte und dachte, daß der Wind mit den Stim-
men all jener sang, die verstorben waren... daß sie irgendwo
draußen auf der Meeresstraße standen und sangen wie Kinder. [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]