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aber sein Blick hing weiter an dem flachen Bildschirm des
Fernsehers.
»Wir haben einen Zeugen«, sagte ich. »Er hat Timo und
Sara zusammen gesehen, am Ostbahnhof.«
»Sara«, sagte Berghoff.
»Am Ostbahnhof?«, sagte Susanne.
»Kennen Sie jemanden, der am Haidenauplatz wohnt?«
»Wo?«, fragte Berghoff.
»Nein«, sagte Susanne.
»Am Haidenauplatz in der Nähe des Ostbahnhofs«, sagte
ich.
Keiner der beiden reagierte.
»Wann haben Sie Ihren Sohn zum letzten Mal gesehen,
Herr Berghoff?«, fragte ich und beobachtete seine Frau,
die sich krümmte wie unter Schmerzen.
»Vor vier Wochen«, sagte Berghoff.
»Ist doch gelogen«, sagte Susanne. »Gesehen! War doch
nicht gesehen! Timo hat schon geschlafen, und am
nächsten Morgen warst du weg.« Sie sah mich an. Dann
glitt ihr Blick weiter zu Martin.
»Leben Sie getrennt?«, fragte Martin.
Er erhielt keine Antwort.
»Leben Sie getrennt?«, wiederholte ich.
Spätestens in diesem Moment wäre der Eisbär tot
gewesen.
Berghoff streckte sein Bein, massierte das Knie, gab
einen kehligen Laut von sich und lehnte sich zurück.
»Wir sehen uns nicht oft«, sagte Susanne, beide Daumen
zwischen die Finger geklemmt. »Ich hab Ihnen doch
gesagt, was ist. Mein Mann macht diese Prüfungen, die
sind wichtig für ihn, er macht die Prüfungen, und ich hab
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das Hotel, anders gehts nicht.«
Ich sagte: »Was passiert, wenn Sie die Prüfungen
schaffen? Ziehen Sie dann nach Wolfsburg?«
»Das ist klar«, sagte Berghoff.
Wieder klingelte leise das Telefon, ungefähr fünfzehn-
mal. Den Anrufbeantworter hatte Susanne ausgeschaltet.
»Und Sie?«, fragte ich sie.
»Ich nicht«, sagte sie.
»Sie müssen Ihr Hotel weiterführen«, sagte ich.
»Genau, das ist mein Hotel, ich leite es, ich bin die
Chefin, ich kann doch nicht wegziehen! Und Timo muss
in die Schule hier, er hat hier seine Freunde, der will doch
seine Freunde nicht aufgeben.«
»Und seine Freundin«, sagte ich.
»Das ist doch Unsinn, was Sie sagen!«, stieß Susanne
hervor. Doch sofort hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
»Mit neun hat man keine Freundin, das wissen Sie doch.«
Unbeweglich saß sie da und zähmte ihre Stimme. »Das
Mädchen stiftet ihn zu Sachen an, für die er noch viel zu
klein ist, viel zu klein. Zum Beispiel geht sie mit ihm in
ein Lokal und bestellt was zu trinken und bezahlt dann
auch, sie bezahlt das sogar, was sie konsumieren. Oder sie
fährt mit ihm mit der S-Bahn in die Stadt und läuft mit
ihm da rum, ganz allein. Das darf die nicht, und das sag
ich ihr auch. Ich hab ihr das verboten, aber ihre Mutter
erlaubt ihr alles.«
»Haben Sie mit Frau Tiller darüber gesprochen?«
»Manchmal«, sagte Susanne, sah zu Boden und ballte
die linke Hand zur Faust.
Ich warf Martin, der mit dem Kugelschreiber auf seinen
Block klopfte, einen Blick zu und strich mir übers Gesicht.
Und für die Dauer einer Erscheinung sah ich den
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zerstörten alten Mann in der Bahnhofskneipe vor mir und
dann, als bestehe ein Zusammenhang, den Jungen im
Wald, der ich war, ich kauerte auf dem Hochsitz, ein
Bündel frierende Furcht.
»Es muss jetzt mal die Wahrheit raus«, sagte Berghoff.
Susanne, schien mir, hielt die Luft an.
»Die Sache ist«, sagte Berghoff ohne jede Veränderung
in Stimme und Haltung, »Timo ist nicht mein Sohn. Das
ist das eine. Dann ist die Sache, er weiß das nicht, wir
haben es ihm nicht gesagt, Susanne wollte das so, sie
wollte, dass er denkt, ich bin sein Vater. Ich wollte das
nicht so. So. Dann ist die Sache, ich hab wenig Zeit, ich
brauch eine neue Arbeit, und das ist das Wichtigste,
verständlich, oder nicht? Noch mal zu der Vatersache: Ich
bin kein Vater, ich will keiner sein, ich war nie einer und
ich werd nie einer sein, das sind Entscheidungen, die man
treffen muss. Meine Entscheidung ist: Vaterschaft, nein!
So. Dann ist die Sache, dass ich keinen Draht zu Timo
hab, nie gehabt habe, ich hab versucht, in Ordnung zu
sein, hat möglicherweise funktioniert, weiß ich nicht. Ist
nicht mein Problem, hab ich nie als mein Problem
gesehen. Susanne sieht das anders, ist ihre Sache. Der
Junge ist ihr Sohn, und sein Vater ist irgendwo, ich weiß
nicht, wo, geht mich nichts an. Das ist der Zustand in
diesem Haus, ich bin hergekommen, um das zu klären. Ist
das jetzt geklärt? Gut.«
Ohne auch nur einen Finger bewegt zu haben, hatte
Susanne zugehört, oder auch nicht. Wozu sollte sie
zuhören, sie kannte die Wahrheit, und es schien ihr nichts
auszumachen, dass nun auch wir sie erfahren hatten.
»Das alles hätten Sie mir doch sagen können, Frau
Berghoff!«
»Das geht Sie doch überhaupt nichts an«, sagte sie vor
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sich hin. Ich stand höchstens einen Meter von ihr entfernt,
und sie starrte meine schwarzen Jeans an, redete geradezu
an sie hin. »Das sind Sachen, die niemand außerhalb der
Familie was angehen, auch die Polizei nicht, auch Sie
nicht, auch jetzt nicht. Ich hab Ihnen gesagt, mein Mann
macht die Prüfungen, die sind für ihn wichtig, und das
muss genügen. Wenn da was in den Zeitungen steht
morgen, zeig ich Sie an, ich verbiet Ihnen, über das zu
sprechen, was Sie hier hören.«
Sie dachte nicht daran, den Kopf zu heben.
»Könnte Ihr Sohn bei seinem leiblichen Vater sein?«,
sagte ich.
»Nein«, sagte Susanne.
»Wo lebt Timos Vater?«
»Irgendwo in Griechenland.«
»Sie haben keinen Kontakt zu ihm.«
»Nein.«
»Weiß er, dass er einen Sohn hat?«, sagte ich.
»Nein«, sagte Susanne.
Ich sagte: »Kennt Ihre Schwester die Wahrheit?«
Susanne sagte nichts.
»Carola Schild weiß Bescheid«, sagte ich.
»Ja«, sagte Berghoff. »Ist das wichtig?«
Ein Handy klingelte. Automatisch griff Martin nach dem
Gerät auf dem Tisch. Doch es war Berghoffs Telefon, er
hatte es neben die Couch auf den Boden gelegt.
»Hallo?«, sagte er. »Nein & Jetzt? Geht nicht & Ich hab
& Danke für Ihr Verständnis.« Er beendete das Gespräch
und behielt das ovale silberne Ding in der Hand. »Ein
ehemaliger Kunde, er hat einen brutalen Virus & « Er
verstummte, betrachtete das Handy und schürzte die
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Lippen.
»Ist er schwer krank?«, fragte ich allen Ernstes.
Vielleicht brauchte ich dringend frische Luft.
»Nicht er hat den Virus«, sagte Berghoff, »sondern sein
Apple.«
Da stand ich mitten im Raum, ein ein Meter achtund-
siebzig hoher, achtundachtzig Kilo schwerer Deppen-
haufen.
»Würden Sie uns bitte einen Kaffee kochen?«, fragte
Martin Susanne Berghoff mit einem überflüssigen
Grinsen.
»: Ist er schwer krank?9 «, äffte Martin mich nach. Wir
warteten im Kinderzimmer darauf, dass Susanne von der
Toilette zurückkam. Nebenan telefonierte Berghoff mit
der Frau in Wolfsburg, die wie er an den Prüfungen
teilnahm. »Das ist schon irr, was eine Nacht mit Sonja
Feyerabend mit dir anstellt!«
Ich schwieg ihn nachhaltig an.
Als Susanne ins Zimmer trat, mit neuem Lippenstift,
Rouge und Lidschatten, ging Martin in den Flur.
»Mir wärs lieber, Sie bleiben da«, sagte sie zu ihm.
»Mir nicht«, sagte ich.
Martin ging ins Wohnzimmer zu Berghoff, und ich
schloss die Tür.
»Bitte setzen Sie sich«, sagte ich.
Susanne zögerte, betrachtete das ordentlich zugedeckte
Bett und setzte sich an den Tisch aus weiß lackiertem
Holz, der von Comicheften und Plastikfiguren aus
Fantasygeschichten übersät war. Ansonsten sah das
Zimmer absolut aufgeräumt aus.
»Wissen Sie, wo sich Ihr Sohn aufhält, Frau Berghoff?«,
sagte ich.
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»Nein.«
Ich lehnte mich gegen die Tür, an der ein Filmplakat von
»Herr der Ringe« hing, und verschränkte die Arme. [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]
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